Zusammenfassung
In den letzten Jahren hat in China eine starke Zunahme alternativer Bildungsformen stattgefunden. Ein Aspekt davon ist das als «Steiner-Fieber» bekannte Phänomen, das sich auf das rasante Wachstum der Steiner Waldorf Pädagogik im Land bezieht. Die Steiner Pädagogik, die frühkindliche Bildung, Grundschul- und Sekundarschulbildung umfasst, zielt darauf ab, die natürliche Neugier und die Fähigkeiten des Kindes zu fördern und gleichzeitig das intellektuelle Bewusstsein anzuregen, um das «ganze Kind» zu entwickeln (Oberman, 2007). Trotz ihrer Verbreitung gibt es in China generell wenig wissenschaftliche Untersuchungen zur alternativen Bildung, und insbesondere die Steiner-Pädagogik ist nach wie vor wenig bekannt.
Diese Studie wird von der übergeordneten Frage geleitet: Was steht auf dem Spiel, wenn die Steiner-Pädagogik in China so enthusiastisch angenommen wird? In Übereinstimmung mit den Forschungszielen und -fragen untersucht die Studie das «Steiner-Fieber» anhand einer Untersuchung der Entscheidungen, Wahrnehmungen und Erfahrungen von Eltern und Lehrern, die sich in China mit der Steiner-Pädagogik beschäftigen. Ich habe einen transdisziplinären, dialektischen Ansatz gewählt, dessen konzeptioneller Rahmen von der Vorstellung des «Tao» inspiriert ist, in welcher Ereignisse nicht isoliert betrachtet werden, sondern als Teil eines sinnvollen Ganzen.
Die Studie basiert auf einem ethnografischen Design an zwei Standorten. Ich habe 2017 vier Monate lang Feldforschung an zwei Steiner-Schulen in China betrieben. Die Daten wurden durch Interviews mit Eltern und Lehrern sowie durch teilnehmende Beobachtungen erhoben. Zur Interpretation der Daten wurde eine thematische Analyse durchgeführt. Ich untersuchte die Push- und Pull-Faktoren, die die Entscheidungen von Eltern und Lehrern beeinflussen, die Komplexität und Dilemmata innerhalb ihrer Erfahrungen mit der Steiner-Pädagogik und ihr Verständnis der Beziehung zwischen den Prinzipien der Steiner-Pädagogik und traditionellen chinesischen Werten. Auf der Grundlage meines konzeptionellen Rahmens diskutiere ich die Ergebnisse sowohl auf der Mikroebene – Entscheidungsfindung und Lebenserfahrungen von Eltern und Lehrern – als auch auf der Makroebene, einschliesslich des breiteren Bildungskontexts, der gesellschaftlichen Werte, der Dysfunktionalität des Mainstream-Schulwesens und der spirituellen Krise in Chinas zunehmend materialistisch orientierter Gesellschaft.
Steiners Betonung der organischen Entfaltung des Geistes eines Individuums scheint mit dem taoistischen und konfuzianischen Denken im Einklang zu stehen. Ich behaupte, dass die Steiner-Pädagogik den Chinesen einen Weg bieten kann, sich wieder mit Aspekten ihrer eigenen traditionellen Lebensweise zu verbinden, die durch den Modernisierungsprozess verloren gegangen sind. Dieses Projekt leistet einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Schulwahl von Eltern in China. Es bereichert das bisher wenig erforschte Gebiet der alternativen und ganzheitlichen Bildung im chinesischen Kontext und hat bedeutende Auswirkungen auf die Wiederentdeckung und die erneute Auseinandersetzung der chinesischen Bildung mit ihren eigenen philosophischen Traditionen.
Schlüsselwörter: Steiner-/Waldorf-Pädagogik, Steiner-Fieber, alternative Bildung in China, Schulwahl der Eltern