Harlan, bitte erzähl uns über deine Schule!
Die Green Meadow Waldorf School befindet sich in Chestnut Ridge, New York, einem Dorf, welches früher zur Nachbarstadt Spring Valley gehörte. Die Schule und die ihr nahestehenden Institutionen – ein Seminar für Waldorflehrkräfte, eine Eurythmieschule, ein biodynamischer Garten, ein anthroposophisches Altersheim mit dazugehörigem biodynamischem Hof und einem Naturkostladen – befinden sich zusammen auf einem Stück Land mit Feldern, Bächen und Waldgebieten. Das Areal ist umgeben von der sich ausbreitenden Stadt New York, 30 Meilen südlich.
Die Schule hat ungefähr 300 Schülerinnen und Schüler von der ersten bis zur zwölften Klasse, sowie einen grossen Kindergarten und eine Kindertagesstätte. Die Klassen sind unterschiedlich gross; die grössten Klassen haben rund 28 Kinder, die kleineren etwa 18.
Wir haben ungefähr sechzig Vollzeitangestellte. Eine volle Stelle umfasst zwanzig Wochenlektionen. Den Klassenlehrkräften der Primarstufe und den Betreuerinnen und Betreuern der oberen Klassen werden zusätzliche Lektionen für ihre umfangreiche Arbeit mit den Lernenden und den Eltern zugesprochen. Eine Herausforderung ist seit einigen Jahren der häufige Wechsel der Lehrkräfte in den oberen Klassen. Im Moment beschäftigen wir uns mit der Frage, wie wir die Mittelstufe (6. bis 8. Klasse) am besten führen können.
Und was sind deine Aufgaben in Green Meadow?
Im Moment unterrichte ich Mathematik, Physik, Informatik und Philosophie in der Oberstufe. Ich bin Leiter der Abteilung für Mathematik und Naturwissenschaften und unterrichte in mehreren Projekten für Erwachsenenbildung hier in der Gegend. Ich lehre seit dreizehn Jahren in der Oberstufe, davor war ich Klassenlehrer.
Warum wurdest du Waldorflehrer?
Es begann mit der Verbindung meiner beiden Hauptinteressen: Bildung und Anthroposophie. Früher hatte ich mich mit anderen Formen der Pädagogik befasst und empfand diese als ungenügend. Anthroposophie hat die aussergewöhnliche Möglichkeit, die praktischen Aspekte des Lebens durch eine spirituelle Perspektive zu erweitern. Das beeindruckte mich gleich von Anfang an.
Was fasziniert dich am Lehrerberuf?
Der Unterricht ist für mich eine Möglichkeit, gemeinsam mit den Lernenden an Themen zu arbeiten, welche die Entwicklung junger Menschen begleiten. Obwohl meine Arbeit natürlich dazu dient, andere in ihrem Wachstum zu unterstützen, wird es mir mehr und mehr bewusst, dass das am besten geschehen kann, wenn ich auch am wachsen bin. Oder besser ausgedrückt: wenn alle, die am Lernprozess teilnehmen – ob Lehrkraft oder Lernende – eine offene, forschende Haltung einnehmen. Das ist wahrscheinlich die Richtung, in welcher ich in den letzten Jahren am meisten gewachsen bin.
Was hält dich davon ab, aufzugeben?
Meine Interessen ausserhalb der Schule helfen mir sehr, meinen Unterricht lebendig zu halten. In den letzten Jahren habe ich "At the Source", ein Buch über kindliche Entwicklung und Pädagogik geschrieben, und ich habe zahlreiche Artikel zu anthroposophischen und pädagogischen Themen veröffentlicht. Kürzlich habe ich ein PhD Studium in Philosophie abgeschlossen und eine Dissertation geschrieben, welche im Moment beurteilt wird. Darin beschäftigte ich mich mit einem weiteren Thema, welches mich interessiert: wie die eigene Identität auch andere umfasst. Über all die Jahre haben diese ausserschulischen Tätigkeiten mich selbst und meinen Unterricht genährt, oft auf überraschende Weise.
Wie hat sich, in deinen Augen, der Lehrerberuf in den letzten Jahren verändert?
An unserer Schule hat sich im Lauf der Jahre vieles verändert. Als ich anfing, wurde meist frontal unterrichtet. Die Eltern haben die Waldorfphilosophie ziemlich stark unterstützt und es wurde vorausgesetzt, dass die Kinder nicht fernsehen. Heute suchen die Eltern mehrheitlich einfach eine gute Schule für ihre Kinder, ohne vorherige Verbindung zur Waldorfphilosophie. Jahr für Jahr erleben wir, wie immer jüngere Kinder vom Sog des Fernsehens, der Videos und den sozialen Netzwerken mitgerissen werden. Erfolgreiches Lernen in Schulklassen braucht aber das aktive Engagement der Lernenden. Diese Faktoren bilden ein sowohl stimulierendes, als auch herausforderndes Umfeld.
Welche weiteren Herausforderungen siehst du?
Die grösste Herausforderung auf der gesamten Schulebene sehe ich im stetig steigenden Anspruch an die Beurteilungen: in der Administration, bei den Eltern, den Lernenden und den Kolleginnen und Kollegen. Mir scheint, wir sind alle aufgefordert zu lernen, wie wir Kritik produktiv anbringen, aber auch annehmen können. Dies bedeutet auch: Wie stellen wir sicher, dass wir uns weiterentwickeln, sowohl als einzelne Lehrkräfte, als auch als gesamtes Kollegium? Wie stützen wir unsere Stärken und wie überwinden wir unsere Schwächen? Und wie pflegen wir dabei ein positives und kollegiales Arbeitsklima?
Du scheinst ja ein viel beschäftigter Mann zu sein! Trotzdem findest du noch die Zeit, ein Online Forum zu betreuen. Wie hat das angefangen?
Das Waldorf Mathematics and Science Teachers Forum begann mit einem Briefwechsel, welcher mein Freund und Kollege Jamie York und ich in den Anfängen des Internets pflegten; es geschah per Email mit der „Allen Antworten“ Funktion. Als Mitte 2000 neue Möglichkeiten für Gruppendiskussionen entwickelt wurden, wechselten wir auf das heute bestehende Format der Google Gruppe, welche ich nun betreue.
Was sind die Vorteile und wer beteiligt sich?
Das Forum ist sehr nützlich um Ideen auszutauschen, Fragen zu stellen (Fragen führen immer zu produktiven Diskussionen) und um Informationen zu teilen. Die Themen sind äusserst vielfältig; zum Beispiel Fragen zum Lehrplan und zur Methodik, Rätsel, Informationen zu neuen Forschungen oder Stelleninserate. Es gibt pro Monat ungefähr vier neue Themen, das war von Anfang an so. Auf reine Informationen gibt es kaum Reaktionen, aber thematische Fragen führen normalerweise zu sehr produktiven online „Gesprächen“.
Die Mehrheit der Mitglieder sind Oberstufenlehrkräfte für Mathematik und/oder Naturwissenschaften, es gibt aber auch ein paar Unter- und Mittelstufenlehrkräfte und einige Freunde, welche selber nicht unterrichten, die aber in mathematischen oder naturwissenschaftlichen Berufen tätig sind. Wir freuen uns immer über neue Mitglieder!
Herzlichen Dank für dieses Interview und alles Gute für deine vielen verschiedenen Aufgaben!
<link https: groups.google.com forum waldorfhs external-link-new-window externen link in neuem>Waldorf Math and Science Forum: Eine online Gesprächsgruppe in Englisch für Lehrkräfte für Mathematik und Naturwissenschaften. Interessierte können den Koordinator, Harlan Gilbert, <link mail ein fenster zum versenden der>hier kontaktieren (bitte Name und Schule angeben).