Im Vorschulalter werden Wunder und Neugierde eher durch wahrnehmende Schönheit als durch wissenschaftliche Fakten ausgelöst, und es wird eine Methode vorgeschlagen, die den "Maximismus" (im Gegensatz zum Reduktionismus) in der vorschulischen naturwissenschaftlichen Bildung betont. Konzepte und Begriffe sollten in den ersten Jahren der Sprachentwicklung von Kindern flexibel gehalten werden, um Wachstum und wissensbasierte Entwicklung zu ermöglichen. Das Bewusstsein für den Unterschied zwischen den Fragen der Kinder, „was etwas ist" und „warum etwas ist", ist von besonderer Bedeutung. Darüber hinaus fördert Maximismus die Freundschaft mit der Umwelt, und Naturfreundschaften müssen geknüpft werden, bevor ein systematisches Lernen beginnen kann.
In der vorpubertären Zeit, wo sich Fakten und klares Wissen zu einem festen Fundament vereinen, wird die Neugierde eher durch die Erforschung der Vielfalt der natürlichen Welt gefördert. Das Alter von 9 bis 12 Jahren ist durch ein schnelles Wachstum der Exekutivfunktionen (kognitive Kontrolle) gekennzeichnet und manifestiert sich als Freude am Erlangen neuer motorischer Fähigkeiten wie Radfahren, Schwimmen, Skaten, Fußball, Tanzen oder Spielen. Größere körperliche Freiheit und die Beherrschung von Wissen gehen mit wachsendem Erkundungsverhalten einher, und in diesen Jahren gedeiht das Gefühl für divergierende Neugierde.
Fakten sind klar und eindeutig und müssen durch Übungen, Wiederholungen und Erinnerungen bewusst und systematisch erlernt werden, und die Leidenschaft für zuverlässige und vielfältige Fakten ist ein markantes Merkmal des menschlichen Geistes in der vorpubertären Zeit. Die Schüler üben und lernen mit Freude Begriffe und Fakten und stärken so die kognitive wissensbasierte Robustheit des Geistes im Alter von zwölf Jahren. Während der Maximalismus das Wundern im Vorschulalter förderte, regt die Vielfalt der Welt nun entsprechend die Neugierde an. Allerdings sollten die Fakten noch nicht auf wissenschaftliche und Metafragen eingehen. Dieser Schritt sollte als halb ausgesprochenes Ziel für einen weitere Phase bleiben, auf die sich die Zwölfjährigen freuen: auf die eines Jugendlichen.
Im Gymnasium sollte der naturwissenschaftliche Unterricht eine tiefe wissensbasierte epistemische Neugierde nähren. Ein gewisses Hindernis ist hier die weitgehende Verwendung von Modellen, die den zeitgenössischen naturwissenschaftlichen Unterricht dominieren. Modelle stellen ein Problem im Klassenzimmer dar, das meist übersehen wird: die Verwechslung von Modellen mit der Realität. Anstatt Modelle als vereinfachte Darstellungen möglicher mechanistischer Zusammenhänge zu betrachten, werden sie als die Realität selbst betrachtet. Die meisten Lehrbücher beschreiben eher "Modell-Realitäten", bei denen Beispiele aus der realen Welt ausgewählt werden, nur um das Modell zu bestätigen. Die Studierenden nehmen die Wissenschaft dementsprechend als eine Reihe klarer Wahrheiten und Fakten wahr und nicht als einen Entwicklungsprozess des Zweifels, die Erforschung von Inkonsistenzen und widersprüchlichen Beispielen, die den Eindruck erwecken, dass "alles erklärt ist". Viele Schülerinnen und Schüler verlassen das Gymnasium mit erlernten und nicht erforschten naturwissenschaftlichen Kenntnissen, was sie gegenüber wissenschaftlichen Ansätzen im Allgemeinen gleichgültig macht, da das erworbene Wissen eher durch Einprägen als durch neugieriges und kritisches Denken erworben wurde.
Modelle sind in der Tat in jeder naturwissenschaftlichen Ausbildung obligatorisch, aber ebenso wichtig sind empirische Daten, die ihnen widersprechen, weil sie die andere Seite der wissenschaftlichen Analysen enthüllen - die Wissenschaft als Prozess widersprüchlicher und konkurrierender Perspektiven. Modelle halten das Denken buchstäblich gefangen, da Zweifel meist vom Modell selbst eingefangen werden. Antworten, die neue Fragen aufwerfen, müssen dementsprechend von "draußen", von der verwirrenden Realität stammen. Ein besseres Gleichgewicht zwischen empirisch orientierter Phänomenologie und theoriegenerierenden Modellen ist notwendig, um die tiefe und wissensbasierte epistemische Neugier der Schüler zu fördern, was zu einem besseren Gleichgewicht zwischen geschlossenen und eröffnenden wissenschaftlichen Antworten führt.
Ich befürworte daher eine Methodik für den neugierigen naturwissenschaftlichen Unterricht, die beim Maximismus und tiefen Wundern im Vorschulalter beginnt, entsprechend reiches faktenbasiertes Wissen betont und sich auf die Vielfalt unserer Welt im Vorschulalter konzentriert, sich auf tiefes neugieriges wissenschaftliches Denken in der Pubertät und in der Oberstufe konzentriert.
übersetzt von Katharina Stemann
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Markus Lindholm (*1956; PhD, Senior Researcher) ist Forschungsleiter am Norwegischen Institut für Wasserforschung/NIVA und Gastprofessor am Rudolf Steiner University College, Oslo. Lindholm hat knapp 100 Artikel und Aufsätze zu Wissenschaft, Bildung und Philosophie sowie zwei Bücher veröffentlicht.
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